Strike Up the Band: Käse-Krieg und Kaviar-Kapitalismus
George und Ira Gershwin hauten 1927 mit dem Musical Strike Up The Band kräftig auf die Pauke! Die satirische Musical-Komödie war der Auftakt einer politischen Trilogie, der die beiden Wahlkampfsatiren »Of Thee I Sing« im Jahre 1931 und »Let ´Em Eat Cake« 1933 folgen sollten. Während der Tryouts fiel »Strike Up The Band« jedoch bei Publikum und Kritikern durch, die Zeit war noch nicht reif für das brisante Thema, in dem Buch-Autor George S. Kaufman skurrile Typen um die wirtschaftliche Vormachtstellung Amerikas für Käse kämpfen und einen Krieg mit der Schweiz führen ließ. Erst nach dem Schwarzen Freitag auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskriese schaffte das Stück 1930 in einer entschärften Version, in der um zuckersüße Schokolade gestritten wurde, den Sprung an den Broadway.
Deutsche Erstaufführung 2007 im Musiktheater Gelsenkirchen
Trotz des damaligen Erfolges – nicht zuletzt durch die Einfügung des Welthits »The Man I Love« – ist dieses Gershwin-Musical in Europa nahezu unbekannt. Zwar wagte sich Basel 1999 unter dem Titel »Cheese« in einer stark verfremdeten Fassung einmal an diesen Stoff heran, aber erst am 08. Dezember 2007 zeigte das Musiktheater im Revier die deutsche Erstaufführung des Musicals Strike Up The Band in Gelsenkirchen. Erfolgsregisseur Matthias Davids, der schon Saturday Night Fever in Köln sowie Miss Saigon und Les Miserables in St. Gallen inszenierte und demnächst auch die deutschsprachige Erstaufführung von Hairspray auf die Bühne bringen wird, rekonstruierte für die Deutschlandpremiere des Musicals Strike Up The Band für Gelsenkirchen die Ursprungsfassung von 1927:
Handlung und Geschichte des Musicals Strike Up the Band
Horace J. Fletcher (Joachim Gabriel Maaß) beherrscht mit seiner Fletcher´s American Cheese Company den amerikanischen Schmelzkäsemarkt, indem er die Regierung überzeugt, hohe Zölle auf Importkäse zu erheben. Doch ein kleines, europäisches Land, von dem er noch nie gehört hat, erhebt Einspruch: die Schweiz. Empört über so viel Dreistigkeit gegenüber der amerikanischen Nation verbündet sich Fletcher mit dem Berater des Präsidenten, Colonel Holmes (Wolfgang Beigel). Fletcher will den Privatkrieg gegen die Schweiz als Fletcher Gedächtniskrieg finanzieren, die Einnahmen mit der Regierung teilen und Holmes die Buchrechte übertragen. Selbst die Schweizer Tourismusindustrie bietet den Krieg als attraktives Urlaubsziel mit Alpenpanorama an. Jetzt steht dem Krieg eigentlich nichts mehr im Wege, wäre da nicht der neugierige Journalist Jim Townsend (Gaines Hall), der bisher nur die attraktive Tochter des Konzernchefs Joan Fletcher (Anke Sieloff) im Visier hatte. Doch von dem undurchsichtigen CIA-Agenten George Spelvin (Daniel Drewes) erhält Townsend den Tipp, dass Fletcher nur Milch der Güteklasse B für seinen angeblich so exzellenten Käse verarbeitet. Townsend muss ruhig gestellt werden! Ihm wird unpatriotisches Verhalten vorgeworfen, er wird zwangseingezogen und soll für die amerikanische Armee in der fernen Schweiz Kartoffeln schälen.
Vor dem Alpenpanorama wird die Armee gastfreundlich empfangen, der Feind versteckt sich in den Bergen und eigentlich ist der Krieg eine Wonne. Aber Fletcher sieht seine Investitionen aufgrund mangelnder Erfolge schnell schwinden. Selbst sein treuer Angestellter Timothy Harper (Philippe Ducloux), der mittlerweile zum Oberbefehlshaber von Fletchers Armee aufgestiegen ist und längst schon seine Anne Draper (Filipina Henoch) heiraten wollte, kann die Feinde nicht ausfindig machen, um endlich die Schlacht zu führen, auf die die gelangweilten Touristen gehofft haben. In seiner Not befördert Fletcher den CIA-Agenten Spelvin zum Offizier für einen Tag, der schließlich von Townsend erfährt, dass sich die Schweizer Armee durch Jodeln verständigt. Der jodelnde Spelvin überlistet die Schweizer und die Amerikaner gewinnen ihre Schlacht, obwohl die Knöpfe ihrer Uniformen abgeschnitten wurden. Die Knöpfe findet Spelvin zur Überraschung aller in den Taschen von Edgar C. Sloane (Frank Engelhardt), dem Verlobten von Joan Fletcher, der eigentlich der schweizerische Agent Edelweiß ist und der schon dafür verantwortlich war, dass Milch der Güteklasse B in Fletschers Käse verarbeitet wurde. Townsend wird daraufhin rehabilitiert und bekommt für sein Schweigen Joan versprochen. Fletcher gelobt in Zukunft die »Würde des Käses« zu achten und Holmes Buch »Nie wieder Krieg« wird ein Bestseller. Da erreicht ein Telegramm die Gesellschaft, dass Russland Einspruch gegen neue Importzölle auf Kaviar erhebt.
Bitterböse Gesellschaftssatire als Musical-Unterhaltung
Das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen erlebt mit der Inszenierung des Musicals Strike Up The Band ein Feuerwerk an bitterböser Gesellschaftssatire, die in perfekte Musical-Unterhaltung mit herrlichen, detailreichen Regieeinfällen eingebettet ist. Das Original-Buch von George S. Kaufmann von 1927 wurde durch Tommy Krasker perfekt mit pfiffigen Anspielungen auf die heutige Situation übertragen und erstrahlt mit aktuellem Bezug, als sei es erst in diesem Jahr geschrieben worden (Dramaturgie: Johann Casimir Eule). Roman Hinze übertrug die englischen Songtexte mit viel Gespür zum originalen amerikanischen Wortwitz ins Deutsche, so dass dem Publikum fast durchgängig und verständlich die Handlung nahe gebracht wird.
Nur drei Songs mussten wohl aus urheberrechtlichen Gründen zumindest teilweise in der englischen Originalversion belassen werden – das Titelthema »Strike Up The Band« und die bekannten Welthits »The Man I Love« und »Sooner«. Hier helfen jedoch deutsche Übertitel dabei, kein Wort zu verpassen, was ebenfalls dem ausgefeilten Sounddesign von Norbert Labudda zu verdanken ist. Kai Tietje sorgt als musikalischer Leiter der Neuen Philharmonie Westfalen mit dem Nachdirigat von Salvador Caro dafür, dass auch musikalisch jede Note ins Schwarze trifft. Selbst wenn die Songs dem Großteil des Publikums unbekannt sein dürften, swingt man mit, erlebt traumhafte, romantische Balladen und trommelt den Takt der flotten Marschmusik mit dem Finger mit.
Eine Glanzleistung liefert auch Melissa King mit ihrer schwungvollen Stepp-Choreografie ab, die das Ensemble und die Mitglieder des Balletts Schindowski mal auf Milchkübeln, mal im 90 Grad-Winkel an einer Kletterwand leichtfüßig tanzen lässt. Die Bühne von Knut Hetzer überzeugt durch nette Einfälle, sei es das marmorne Edelbüro Fletchers mit dem Blick auf seine fleißigen Arbeiter durch eine Schwingtüren-Glaswand und ausfahrbarer Bar/Schreibtisch/Laufsteg – Kombination, der eindrucksvollen Alpenlandschaft mit schwebenden Gipfeln oder dem hochfahrenden Orchester mit Schiffsreling bei der Überfahrt zurück nach Amerika. Kontrastreich zum hellen Bühnendekor heben sich die Kostüme in knallenden Primärfarben von Judith Peter ab: Fletcher und seine Armee im grellen Käsegelb stehen komplementär dem Blau der rebellischen Tochter Joan gegenüber, während sich Mrs. Draper (Eva Tamulenas) im lüsternen Rot zeigt, das als Orange auf ihre Tochter Anne abfärbt, die ihren Offizier im satten grasgrün liebt. Nicht zuletzt sind es die vielen, kleinen Regieeinfälle von Matthias Davids, die der Inszenierung den letzten Feinschliff geben. So gibt es das Orchester in Matrosenanzügen zu bewundern, setzt die Souffleuse mal ein Käsehütchen oder einen Blumenhelm auf, angeln Soldaten Toblerone-Schokolade oder begleitet sich das Damenballett mit Kuhglocken selber.
Die Darsteller des Musicals Strike Up the Band
Die Darsteller setzen all diese Vorgaben des Produktionsteams perfekt auf der Bühne um. Joachim Gabriel Maaß setzt mit seinem Fletcher Maßstäbe in amerikanischem Selbstverständnis. Anke Sieloff, die sich die Rolle mit Leah Gordon teilen wird, parodiert die verwöhnte Industriellentochter gleich einer Paris Hilton mit herrlicher Herablassung. In ihrem Partner, dem Journalisten Jim Townsend, ist erst auf den zweiten Blick dank Kinnbärtchen und langer Hippie-Haare Stepptalent Gaines Hall zu erkennen, der bedauerlicherweise in dieser Rolle seine Tanzkünste nicht ausleben kann. Leichtfüßig über die Bühne schweben dürfen indes die enthusiastische Filipina Henoch als heiratswütige Anne sowie der energiegeladene Philippe Ducloux, der die Rolle von Timothy Harper in einem Probenmarathon von nur zehn Tagen in Vertretung des erkrankten Patrick Schenk übernommen hat. Hut ab vor dieser Leistung! Immer wenn das Stück ein gesanglich perfektes Männerquartett fordert, treffen sich die vier Soldaten Sergey Fomenko, Georg Hansen, Wolf-Rüdiger Klimm und Charles E.J. Moulton. Allen die Show stiehlt Daniel Drewes als George Spelvin mit auf den Punkt gebrachter Situationskomik, die selbst in den abstrusesten Momenten nie aufgesetzt oder peinlich-enervierend wirkt. Hier durfte wirklich herzhaft gelacht werden! Eva Tamulenas als rüstige Rentnerin Mrs. Draper auf Männerfang mit knallroten Haaren sowie der kühle Wolfgang Beigel als Colonel Holmes setzten weitere komödiantische Highlights. Frank Engelhardt rundet als Verräter Sloane die Hauptdarsteller-Riege ab, die in Gelsenkirchen noch durch das 38(!)-köpfige Ensemble tatkräftig unterstützt wird.
Sponsoring durch Schweizer Käse-Marketing Firma
Ein Kuriosum ist die Unterstützung durch die Switzerland Cheese Marketing GmbH, der es zu verdanken ist, dass den Zuschauern nach der Pause Käsehäppchen zur Alpenidylle mit Vogelgezwitscher im Theater gereicht werden. Sie haben noch bis zum 20. Mai 2008 Zeit, eine der insgesamt 21 Vorstellungen des Musicals Strike Up the Band im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen zu besuchen. Geben Sie sich nicht mit einem Musical der Güteklasse B zufrieden und erleben Sie einen erfrischenden Abend mit Strike Up The Band!
© by Stephan Drewianka, Musical-World.de; Fotos: Pedro Malinowski; Dieser Bericht erschien ebenfalls in der Zeitschrift Blickpunkt Musical; Ausgabe 01/08, Januar/Februar 2008
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